Wo sind die Grenzen bei der Genforschung?

25. Mai 2002

Artikel der Grafschafter Nachrichten vom 25.05.2002

Die Genforschung sei mit Riesenchancen verbunden. „Ich weiß letztlich nicht, wo wir landen", sagte Dr. Kues. Der CDU-Politiker hält eine Diskussion über das, was in diesem Bereich zu verantworten ist, für zwingend erforderlich. Dabei gehe es darum, welche Rolle die Würde des Menschen spielt. Auf dem Podium saß neben Kues Professor Zerres vom Uniklinikum Aachen.

pez Nordhorn. Durch neue Erkenntnisse in der Gentechnik wie die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes wird menschliches Leben in einem neuen Licht betrachtet; die Öffentlichkeit wurde aufgerüttelt. Viele Erwartungen werden mit den so genannten Lebenswissenschaften verbunden. So hofft man auf neue Möglichkeiten, schwere Erkrankungen zu diagnostizieren, zu heilen und ihre Auswirkungen zu lindern. Auf der anderen Seite wird befürchtet, dass die Forschung zu Selektion und Kommerzialisierung des Menschen bis hin zur „Patentierung des Lebens" führt.
Mit diesem komplexen und damit schwierigen Thema befasste sich am Mittwochabend das „Grafschafter Forum" der Konrad-Adenauer-Stiftung im Hotel am Stadtring. „Alles machbar? – Fragen an die Genforschung" war das Forum überschrieben. Es sollte nach den Worten von Moderator Friedrich Kethorn Anstöße geben und sensibilisieren.
„Wenn man sich auf Neuland bewegt, braucht man einen Kompass", sagte der Lingener CDU-Bundesabgeordnete Dr. Hermann Kues. Es muss nach seinen Worten alles getan werden, um Forschung zu ermöglichen. Gleichzeitig sei aber auch zu fragen, wo es Grenzen gebe. Wenn der Mensch mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle beginne, was der Rechtsprechung entspreche, dann komme ihm von diesem Zeitpunkt an eine unveräußerliche Würde zu.
Kues , der auch Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften seiner Fraktion ist, mahnte strenge ethische Maßstäbe an. Weil selbst renommierte Forscher die rasanten Fortschritte in der Gentechnik kaum noch überblicken könnten, müsse die Menschenwürde einen hohen Rang erhalten. Weil viele Dinge noch im Fluss seien, sei zu fragen, ob „unheilvolle Enwicklungen eingeleitet werden, die für den Menschen schlecht sind". Die größte Gefahr bestehe darin, dass beim menschlichen Leben nach Nützlichkeitserwägungen selektiert werde.
Nach wie vor abgelehnt wird von dem CDU-Politiker die umstrittene und hierzulande verbotene Präimplantations-Diagnostik (PID). Bei dem Verfahren werden die im Reagenzglas künstlich erzeugten Embryonen auf Erbkrankheiten untersucht, bevor sie in den Mutterleib eingepflanzt werden. Das geschieht nur, wenn die Embryonen als erblich unbelastet getestet worden sind. „Ich weiß nicht, wie hier die Schranke gegenüber der Selektion gesetzt werden soll", sagte Kues. Er setzte sich für Förderung der Forschung an adulten Stammzellen ein. Sie würden Erwachsenen entnommen, sodass keine Embryonen getötet werden müssten.
Angesichts der Gefahr, dass der Mensch auf das Biologische reduziert werde, forderte der Abgeordnete dazu auf, in der Gesellschaft zu einem gemeinsamen Wertesystem oder Wertefundament zu finden, ansonsten werde nur die Moral den Erfolgen der medizinischen Forschung angepasst. Benötigt werde eine grundsätzliche Diskussion darüber, „ob nicht auch Defekte und Krankheiten zum Menschen gehören, wie wir mit Leid und Behinderung umgehen".
Die heftige öffentliche Diskussion über bioethische Fragestellungen befürfe einer Versachlichung, meinte Professor Dr. Klaus Zerres, der das Institut für Humangenetik an der Uniklinik Aachen leitet. Der Mediziner ging auf das enorme therapeutische Potenzial der Genforschung ein, in die sehr viel Geld investiert werde. So könnten Ärzte in der prädiktiven Diagnostik erkennen, welche ererbten Krankheiten die Patienten wahrscheinlich in einigen Jahren heimsuchen werden. Schon jetzt werden in Deutschland Gentests für über hundert Krankheiten angeboten. Das ethische Dilemma sieht Zerres durchaus: Ärzte warnen vor Krankheiten, die erst in einigen Jahren bei den verunsicherten Patienten ausbrechen werden – oder eben nicht. Menschen, die von bestimmten Krebserkrankungen bedroht seien, könnten aber schon heute durch vorbeugende Eingriffe vor einem frühen und schmerzhaften Tod bewahrt werden.
Die Präimplantations-Diagnostik hält Zerres „unter strengen Bedingungen" für sinnvoll. In den Niederlanden sei es mit der PID möglich, Eltern auf Behinderungen und schwere Erkrankungen des werdenden Kindes hinzuweisen. Wer diese Diagnostik verbiete, müsse erklären, warum Abtreibungen noch in der 40. Woche erlaubt seien, die Tötung eines mit bloßem Auge nicht erkennbaren Embryos aber unter Strafe stehe. 100000 Ehepaare machten heute eine künstliche Befruchtung, so Zerres, und aus der so genannten sozialen Indikation heraus würden 134000 Schwangerschaften abgebrochen.
Der Mediziner tat sich schwer damit, die von Kues vorgenommene ethische Grenzziehung „unverrückbar nachzuvollziehen". Man dürfe nicht unbedingt so tun, als wenn die Befruchtung einer Eizelle die absolute Grenze sei. Zerres fragte in dem Zusammenhang, ob ein Achtzeller schon als Kind zu bezeichnen sei.
Einig war sich der Professor mit Dr. Kues darin, die öffentliche Diskussion fortzusetzen. „Wir sollen uns durch Argumente der anderen verunsichern lassen", zitierte er die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer.
Einer der etwa 30 Zuhörer gab zu bedenken, dass in anderen Ländern mehr erlaubt ist als in Deutschland und die wissenschaftliche Betätigung in diesem Bereich „an uns vorbeizuziehen droht". Trotz einer hochstehenden ethischen Diskussion „wird uns irgendwann keiner mehr zuhören". Eine Zuhörerin formulierte einen weiteren Konflikt: „Wir halten uns aus allem heraus, aber wenn etwas Gutes herauskommen könnte, wollen wir es haben".

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