Demonstranten: Scharping macht unser Emsland platt

5. Februar 2001

Rund 700 Menschen bei Kundgebung gegen Streichliste

Artikel der Grafschafter Nachrichten vom 05.02.2001

Rund 700 Menschen haben am Sonnabend gegen die geplante Reduzierung der Bundeswehrstandorte in Lingen und Werlte demonstriert. Vor dem Neuen Rathaus in Lingen wandten sich die Demonstranten gegen Bundes- und Landesregierung, die ihrer Ansicht nach dem Emsland unangemessene Belastungen aufbürden. In beiden Orten sollen insgesamt rund 1500 Dienstposten wegfallen.

Von Hermann Lindwehr / Lingen. Zu der Demonstration hatten neben Kommunalpolitikern auch Gewerkschaften und Kirchen aufgerufen. Neben dem Lingener Oberbürgermeister Heiner Pott, dem emsländischen Landrat Josef Meiners, Verwaltungschef Hermann Bröring unterstützten aus der Grafschaft auch die stellvertretende Landrätin Maria Köttering sowie Bürgermeister Burkhard Lühn und Gemeindedirektor Alfons Eling aus Wietmarschen das Anliegen der Grafschafter Nachbarn, parteiübergreifend für einen Erhalt der emsländischen Bundeswehrstandorte einzutreten. Die Demonstranten machten indes aus ihrer Wut über die Pläne des Bundesverteidigungsministers keinen Hehl. „Scharping, Du machst unser Emsland platt" hießt es auf Transparenten und Plakaten.
„Der Montagmorgen dieser Woche wird allen noch lange in Erinnerung bleiben!", sagte Oberbürgermeister Pott in seiner Ansprache vor den Demonstranten. Gerade noch hätten die Medien verkündet, der Bundeswehrstandort Lingen sei nicht auf der Liste der zu schließenden Standorte. „Doch dann hat es uns alle eiskalt erwischt! Wir erfuhren, dass der Standort Lingen mit 755 Soldaten und Zivilangestellten bis auf ein Fernmeldebereich mit 30 Mitarbeitern reduziert werden soll! Keine Standortschließung meint Herr Scharping, nein, nur eine Standortreduzierung! Welch ein Hohn, man hat uns betrogen!", klagte Pott.
1000 von gut 20000 Arbeitsplätzen gingen jetzt allein in Lingen verloren, das bedeute einen Kaufkraftverlust von bis zu 80 Millionen Mark. Das wirke sich nicht nur auf die Stadt Lingen, sondern auf die gesamte Region aus, meinte Pott. Der Oberbürgermeister: „Wie kann dass überhaupt vernünftiges strukturpolitisches Handeln sein, wenn man in einem Umkreis von 40 Kilometern in Rheine, Werlte und Lingen über 3500 Stellen streicht? Warum gibt es in Baden-Württemberg und Rheinlandpfalz, wo ja gerade Landtagswahlen anstehen, so gut wie gar keine Standortreduzierungen? Warum wird der Großraum Hannover gestärkt? Warum wird das süd-westliche Niedersachsen, einschließlich der Grafschaft Bentheim und des Emslandes, quasi zur bundeswehrfreien Zone erklärt? Natürlich nicht ganz zur bundeswehrfreien Zone: wir behalten ja Nordhorn Range!" meinte Pott. Der ländliche Raum werde „im großen Stil im Stich gelassen", er werde abgestraft. Pott: „Das Zollamt will man uns abziehen, das Staatshochbauamt ist gefährdet, die Autobahn müssen wir mit eigenen Mitteln finanzieren, obwohl wir einen Anspruch darauf haben, dass der Staat dies komplett finanziert, und jetzt will man uns auch noch die Eisenbahnschienen aufrollen und die Fernverbindungen kappen. Zum Dank behalten wir dann Nordhorn Range. Jetzt reichts, wir lassen dass nicht mit uns machen! Wir müssen und werden uns wehren", machte Pott deutlich und forderte Ministerpräsident Sigmar Gabriel auf, seinen Worten Taten folgen zu lassen.
Auch der emsländische Landrat Josef Meiners hob hervor, dass die Veranstaltung vor dem Lingener Rathaus „erst der Anfang unseres Protestes" sei. Das Emsland habe die Soldaten immer mit offenen Armen aufgenommen, „während andernorts Steine gegen öffentliche Gelöbnisse flogen." Das Emsland habe seine Beiträge zur Anpassung der Streitkräftestruktur längst geleistet. Meiners: „Jetzt sind erst andere dran."
Wietmarschens Bürgermeister Burkhard Lühn erinnerte an die Solidarität der Nachbargemeinde mit Lingen. Lühn: „Wir Wietmarscher stehen alle an der Seite Lingens gegen die Auflösung des Standortes Lingen, gegen den Kahlschlag im Emsland. Wo bleiben die Interessen der Gemeinden und der Bürger hier vor Ort? Die sind den Militärs eigentlich schnuppe, und deshalb kämpfen wir alle zusammen."
Einen schweren Stand hatte vor den Kundgebungsteilnehmern die SPD-Bundestagsabgeordnete Monika Heubaum. Sie kam vor lauter Protestrufen der Demonstranten kaum zu Wort. Heubaum sprach von einer desolaten Informationspolitik im Verteidigungsministerium. Sie selbst habe noch am Vorabend der Veröffentlichung des Standort-Konzeptes nichts von den drohenden Reduzierungen im Emsland gewusst, sondern sei im Vertrauen auf die vom Bundesverteidgungsministerium genannten Auswahlkriterien davon ausgegangen, dass die Standorte erhalten blieben. „Wir sind genauso kalt erwischt worden", meinte die SPD-Abgeordnete.
Heubaums CDU-Kollege Dr. Hermann Kues aus Lingen forderte sie auf, sich im Bundestag gegen das Konzept von Verteidigungsminister Rudolf Scharping zu stellen. Kues: „Sie sollten hier erklären, dass Sie sich quer legen, dann kommt Bewegung hinein." Die Entscheidungen, ob die Bundeswehrstandorte im Emsland verschwinden, fielen im Parlament im Berlin, die Fraktionen von SPD und Grünen im Parlament könnten es verhindern, meinte Kues.
Bei einer zweiten Demonstration am Wochenende in Wesendorf (Landkreis Gifhorn) forderten 300 bis 400 Menschen den Erhalt der örtlichen Hammerstein-Kaserne.

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